Ramona Raabe
  • Hungrig und Geil – Filmkritik. Martin Scorseses THE WOLF OF WALL STREET (2013)
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Hungrig und Geil – Filmkritik. Martin Scorseses THE WOLF OF WALL STREET (2013)
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Martin Scorseses The Wolf of Wall Street: Hungrig und Geil

– Das Dreamteam DiCaprio und Scorsese begeistert mit fünfter Zusammenarbeit zur Verfilmung von Jordan Belforts Autobiographie The Wolf of Wall Street. Ein dreistündiger Film, der einen korrupten, egomanisch-kapitalistischen Widerling zum Protagonisten hat, überwiegend Männer im hedonistisch-verschwenderischen Spielparadies voll Brüste und Drogen zeigt, sich szenisch schwer anstrengt in immer neuen Hyperbeln zu erzählen, und trotzdem dringlichst gesehen werden muss.

Everyone Wants to Be Rich

Das ist Jordan Belforts These. Das ultimative menschliche Begehren der heutigen Gesellschaft ist eines, was jeder will: Geld, und, wenn er das hat: immer mehr davon. Nun wollen das viele, der junge Belfort (Leonardo DiCaprio) jedoch kann eines besonders: überzeugen. Anbieten, verkaufen, selbst daran reich werden. Es klingelt Cash in die Börsenkassen. Gemeinsam mit Donnie Azoff (Jonah Hill) gründet Belfort das Unternehmen Stratton Oakmont. Innerhalb kürzester Zeit expandieren sie, feiern sich wölfisch, ganz wie der Titel verspricht, d.h. sie sind aggressiv, triebgesteuert und ein furchtloses, trabendes Rudel. Sie glauben aneinander, sagen sie. Sie sind gierig, sie sind selbstgefällig und verschwenderisch. Ihre Abkürzung zum eigenen Profit: Wertpapierbetrug und Geldwäsche. Als Belfort neu an der Wall Street ist, gibt ihm sein damaliger Chef schon am Anfang des Filmes nahezu rituell summend-trommelnd zwei wohlgemeinte Ratschläge auf den Karriereweg: Masturbiere viel und kokse ständig. Diesem Ton bleibt der Film treu.

 Exzess und Chauvinismus – Geld, Drogen, Sex

Scorseses neustes Werk zeigt mehr Nacktheit, Geilheit und Sex als Hollywoodstreifen in der Regel erwarten oder gar erlauben lassen würden, vor allem in einer Paramount-Studio-Big-Budget-Produktion (geschätzte $100.000.000). Brüste, Hintern, Vaginas – der Film ist eine ganze Parade von vor allem weiblichen Entblößungen: Es wird im Büro gerammelt, im Glasaufzug nach oben geblasen, das Koks vom gespreizten Hintern einer knienden Prostituierten geschnupft, und unter dem heißen tropfenden Kerzenwachs einer Domina gewimmert. Wirklich dominieren tun aber ausschließlich die Männer, Frauen lassen sich benutzen, werden extremst sexualisiert und an ihrer Körbchengröße gemessen. Scheine und Brüste, am liebsten Scheine auf Brüsten, und ein bisschen Champagner dazu – das ist das Lieblingsspiel der kleinen Wölfe, an dem sie stundenlang keine Lust zu verlieren scheinen. Das wird anstrengend und ist, auf die Dauer, für manch einen zwar gewiss herrlichste Softporno-Unterhaltung (es präsentiert sich fast wie ein weiteres Subgenre, vielleicht sowas wie „der materialistische Softporno“, in dem auch Frauen selbstredend ebenfalls zum benannten Material zählen), für andere teilweise nur schwer zu ertragen. Zwei Mitglieder der Oscar verleihenden Academy sollen nach einer Premiere auf Scorsese und DiCaprio zugegangen sein und sich über diesen „abscheulichen“ Film beschwert haben.  Wer also immer auf eine tiefsinnige ‚Moral von der Geschicht‘ wartet, und nicht bereit ist, dem Film seine künstlerische Freiheit zu gewähren, um eine Welt zu beschreiben, die nun leider, ob nun in den privat verlängerten Gassen der Wall Street oder außerhalb, tatsächlich auch existent ist, wird nur Anstoß finden. Die einzige Nachricht, welche die Bilder, kommentiert im selbstgefälligen Voice-Over von Belfort selbst, zu übermitteln scheinen, präsentiert sich stumpf und simpel: Wir-sind-geil. Ausrufezeichen. In jedem Sinne des Wortes. Wir sind reich, mächtig und kriegen alle Frauen, die wir wollen. Kleben ihnen Kohle auf die Titten und schnupfen uns einen aus dem gerollten Hunderter-Scheinchen. Das klingt vulgär – und ist es auch. Dies und kaum mehr erzählt der Film großzügig über Stunden – da stellt sich doch, hoffentlich natürlicherweise, die Frage: Was soll ich damit? Zeitverschwendung, ekelhaft – weiter! Nein, der Film ist genießbar. Nicht nur, weil die ganze Sache ein wenig ernster wird, als das FBI Ermittlungen in Belforts Machenschaften beginnt. Der Film macht Spaß. Er nimmt sich die meiste Zeit nicht ernst. Und wenn er es tut, findet er den richtigen Ton.

 Unterhaltsam und meisterlich erzählt

Scorsese fesselt. DiCaprio und Jonah spielen brilliant. DiCaprio ist irre und wahnsinnig, im besten und im erschreckendsten Sinne. Belfort ist ein Extremcharakter, ein Mann, der fühlt, taktiert, kreiert. Ein Drogenabhängiger, ein Partylöwe, ein Liebhaber, ein Unternehmensführer, ein Vater, ein Krimineller, jemand der hungrig ist und ständig wittert – ein Wolf. DiCaprio verkörpert die ganze Palette inniglich: Angst, Wut, Irrsinn, Euphorie. Und diese überzeugende, leidenschaftliche Performance entschuldigt auch den Umstand, dass er für die Rolle eigentlich alterstechnisch nicht mehr gerade die geeignetste Wahl in Hollywood war. Schwer fällt es zu glauben, der bald Vierzigjährige Schauspieler sei nur zweiundzwanzig im ersten Teil des Films. Ausnahmslos überzeugend agiert die Besetzung, v.a. auch Jean DuJardin in einer diesmal nicht nur stummen (wie in seiner Oscar prämierten Darstellung in The Artist, 2011), sondern gar bilingualen Rolle als korrupter Schweizer Bankier.

Der flotte, coole Voice-Over und ein korrespondierend gewählter Soundtrack erinnert an Scorseses große Filme wie etwa Good Fellas und bringt in Kombination mit der Filmlänge, ähnlich wie auch diesen Monat schon David O. Russells American Hustle, einen nun länger vermissten, persönlich-epischen Charme in die Kinos. Belfort ist der Scheußling, den man nicht ausstehen kann und der trotzdem fasziniert. Ein Mann, der eine bestimmte, seltene Art von Freiheit genießen kann, die nicht nur finanzieller Natur ist, sondern eine Freiheit, die auf den selbstbestimmenden, arroganten Worten gründet: I don’t give a fuck.

Übertrieben wie der Lebensstil geben sich auch manche Szenen des Films und wer mit diesem Humor, der eigentlich ziemlich ernste Situationen grotesk-lustig darzustellen sucht, nichts anfangen kann, wird sichtlich schnell genervt werden, wie etwa, wenn Belfort, nahezu an einer Überdosis Drogen kollabierend schäumend und in dämlich wirkender Mr. Bean-Manier in seinen Lamborghini Countach steigen will und erst mal eine Steintreppe kopfüber runterpurzelt. So übertrieben dies alles ist, so schafft der Film es Szene auf Szene in schönen Sets an die Leinwand zu fesseln, zu überraschen, und findet auch ruhige Momente, minutenlange Szenen starken Dialogs und gekonnten Schauspiels.

Somit schafft das Werk es auch allgemein, neben den überwiegend komisch-überzogenen oder passionsgeladenen Szenen, tatsächliche Augenblicke dramatischer Momente zu kreieren.

The Wolf of Wall Street (USA, 2013) // Regie: Martin Scorsese // Drehbuch: Terence Winter, basierend auf dem Buch von John Belfort //  Leonardo DiCaprio, Jonah Hill, Margot Robbie, Matthew McConaughey, Jean DuJardin u.v.m. // Paramount Pictures // Rated R // 179min.

Trailer #1:

Trailer #2:

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