Ramona Raabe
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Stories and Dreams
inallgemeines, Kurz Nachgedacht, literarisch this entry has Keine Kommentare by Ramona Raabe

“Old and new stories and characters open up and populate possibility space. All these fictions make us the one species not restricted to the here and now, even if that must be where we act and feel and imagine.”
– Brian Boyd in ‘On the Origin of Stories: Evolution, Cognition and Fiction’.

Ich glaube nicht, dass wir die Einzige Spezies sind, die an das Hier und Jetzt gebunden sind, man denke an Hunde, die in ihren Träumen zappeln und einem imaginären Hasen hinterher zu jagen scheinen. Trotzdem aber scheint es ein besonderes Merkmal des Menschen zu sein, in geistige Welten, Träume, Fiktionen zu verschwinden, versinken, verloren zu gehen. Dabei verhält es sich dual: Nicht nur Verlust, sondern auch Gewinn, wie auch Boyd es in seinen Ausführungen weiter schildern wird. Ineinander übergehend, in unserem ursprünglichen Sein vorhanden, wie eine Doppelhelix, wie ein Unendlichkeitszeichen. Fiktion als evolotionsbedingt, als etwas, was keine Grenzen kennt, und uns stärker macht. Und Darwin wusste schon, dass die Stärksten überleben.

Fiktion, ob erlesen, erträumt, ersponnen, helfen uns, zu überleben, ermöglichen es uns, mehrfach zu existieren. Hoffnung, so sagt man, stirbt zuletzt. Auch Hoffnung bezieht sich viel aus Fiktion. Denn was ist Hoffnung, als das wilde, manchmal zuversichtliche, manchmal tief verzweifelnde Setzen und Glauben an etwas, was noch nicht ist, aber potentiell sein wird? Sie mag in meisten Fällen realistischer und plausibler sein als ein pummeliger Hobbit in einer Fresshöhle mit Haar unter den Füßen, aber im Grunde nährt sie sich aus einer Vorstellung, einer Fantasie, eines Ortes oder Zustandes, der noch nicht existent ist und vielleicht auch niemals sein wird.

Manchmal habe ich mich schon gefragt, warum ich so in Fiktionen aufgehe. Ob das heißt, dass ich mein eigenes Leben nicht schön oder zu langweilig finde, ob ich auf ständiger Realitätsflucht bin. Die Antwort ist Nein. Das ist es nicht. Ich empfinde es im Umkehrschluss realitätsbereichernd, mich dieser Geschichten anzunehmen, denn in dem Moment, in dem ich Teil von ihnen werde, werden sie Teil von mir, d.h. Fiktion wird zu einem gewissen Grade realisiert, denn ich bin real. Und dabei ist es nebensächlich, ob wir uns dessen bewusst sind, dass diese Figuren und Erzählungen aus einem erzählerischen Nirgendwo gegriffen und erst erschaffen wurden. Wir weinen um Charaktere von denen wir wissen, dass ihr Leiden artifiziell ist. Weil unser Annehmen ihrer bei uns Erinnerungen und Erfahrungen reanimiert, die wahr sind? Weil der Mensch doch gut und emphatisch ist, so sehr, dass er sogar jene betrauert, die nicht mal echt sind? Warum dann aber weinen wir mehr mit einem jungen Liebespaar, dass einander auf einem untergehenden Schiff in einem Filmstudio verliert, als um tatsächlich existente Opfer einer Naturkatastrophe, dessen echte Tränen wir auf dem News Channel sehen?

Wieso kümmert und berührt uns Fiktion oft mehr als Realität? (wenn man diese beiden überhaupt als Gegenpole setzen möchte).

Man könnte jetzt mit der aristotelischen Katharsis-Theorie argumentieren, und behaupten, jeglicher Pathos bei Fiktion ist eigentlich egoistisch und alleinig der eigenen, emotionalen Erschütterung und Reinigung unterlegen.

Aber das wäre ein wenig zu einfach. Und zu traurig.

Boyd’s Zitat ist aus dem Kontext gewählt. Er schreibt über viel mehr und anderes (Evolution, Kognition und Fiktion eben) und viel schlauer.

Die Schnittstelle zwischen Traum und Fiktion ist dicht. Nachts sind wir alle kleine Dichter, Spinner, Verrückte und Visionäre. Wir alle gehen auf Fantasiereisen, auch der unkreativste Mensch auf Erden. Tagträume, Nachtträume. Ersponnene Ängste, Sorgen. Sexfantasien. Hoffnung. Wir tun es wie essen und atmen. Evolution, tatsächlich?

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